Chapeau , Frau Bundesrätin!
In kindlicher Vorfreude und flimmernder Erwartung saß ich schon Minuten vor der Sendung vor dem Fernseher. Denn heute würde eine richtige Bundesrätin eine Stunde lang über das Schicksal der Heim- und Verdingkinder, der Zwangsadopierten, der Administrativ Versorgten und der eugenisch Behandelten in der Sendung "Sternstunde Philosophie" Red und Antwort stehen. Das hat es noch nie gegeben. Eine ganze lange Stunde wird sie - die Bundesrätin - erklären, erzählen, Betroffenheit zeigen, versprechen, vielleicht trösten?, ankündigen und analysieren. Und alles zu einem Thema: Der "fürsorgerischen Zwangsmassnahmen" des letzten Jahrhunderts. Wird sie die Brücke schlagen können von den Opfern von damals zu den Menschen von heute? Wird es ihr gelingen, die bitter nötige Sensibilisierung in der Bevölkerung zu zünden? Die Neugier zu entfachen, die es braucht, um auch in die dunkelsten Winkel dieses beschämenden Kapitels Schweizerischer Sozialgeschichte zu leuchten? Meine Erwartungen waren immens. Die Bundesrätin hat mich nicht enttäuscht. Chapeau! Mit klaren Worten hat sie die damaligen Praktiken der Kindsversorgung in Heime, Kliniken, Gefängnisse und zu Bauern als einen Akt der Unwürde verurteilt. Sie hat sich betroffen gezeigt, ob all dem Leid, dass viele Heim- und Verdingkinder in ihren langen Kindsleben erdulden mussten. Sie hat ihr Unverständnis und ihre Irritation darüber geäußert, dass es in der doch schon modernen Schweiz möglich war, Frauen gegen ihren Willen in Gefängnisse zu sperren oder eugenisch zu behandeln. Bis ins Detail ist sie gegangen, als sie aus Briefen von Opfern zitierte und mit Worten Bilder von Erniedrigungen von Schlägen und seelischen Misshandlungen malte. Sie, die vielbeschäftigte Bundesrätin, die zwischen zahlreichen Sitzungen, Aktenstudium und Reisen nach Brüssel, wo sie unseren beschämenden Volksentscheid zu erklären hatte, hat trotzdem die Zeit gefunden, für unsere Anliegen hin zustehen und Partei zu ergreifen. Danke!