Dapploquium 2013: Qualität im Mittelpunkt! Eine Zusammenfassung von Christoph Hug, Mitarbeiter der Schenkung Dapples!

05.06.2013 15:00

Sind studierte Sozialschaffende fähig und willens, ein Velo zu flicken oder ein Zelt aufzustellen?

 

Sergio Devecchi, langjähriger ehemaliger Heimleiter der Schenkung, ist ein leidenschaftlicher Sozialpädagoge. Sein Referat begann er mit einer Anekdote über falsche Anreize aus seiner Jugendzeit: Seine Wohngemeinde zahlte den Buben 20 Rappen für jeden toten Maulwurf, welchen sie anschleppten. Die Jungs fingen zwar viele Maulwürfe, auf einem Teil der Felder aber unterhielten sie „Maulwurfreservate“, wo die Tiere sogar angefüttert wurden, damit die regelmässigen Einkünfte nicht versiegten. Die Brücke von der Anekdote zum Thema wurde erst im Laufe des Referats geschlagen. Unter dem eher holprigen Titel entstand ein Versuch, die Wirkung von „angewandter Wissenschaft“ auf die Qualität sozialpädagogischer Arbeit zu untersuchen.

Stark verändert habe sich beispielsweise der Stellenbewerbungsprozess. Reichte früher ein Motivationsschreiben und ein paar Zeugniskopien in einem C5-Couvert, wurde in den letzten Jahren stark aufgerüstet. Vom Format B5 über B4 sind wir mitt-lerweile bei der Paketpost angelangt. Immer mehr Unterlagen werden verlangt und auch eingereicht. Gibt es viele Bewerbende, kann es bald vorkommen, dass die Rücksendungsporti der gesichteten Dossiers die Kosten der Stelleninserate übersteigen. Das Studium der vielen eingereichten Unterlagen wird so arbeitsintensiv, dass es outgesourct werden muss. Unternehmensberater erstellen Assessments über die Bewerbenden. Das wirke zwar alles hoch professionell, aber ob sich mit diesem massiven Ausbau der Bewerbungsprozesse auch die Qualität verbessert hat? Der Referent hoffte dies zumindest, seine Zweifel blieben unausgesprochen, man konnte sie jedoch deutlich spüren.

Er selber hätte mit seiner Ausbildung und mit seinen Zeugnisunterlagen heute wohl keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt. Seine Ausbildung wirkt aus heutiger Sicht sehr handgestrickt. Pädagogische Theorie war nur ein Fach unter vielen: Maschinenschreiben, Metallbearbeitung, Turnen, Singen, Kunstbetrachtung und anderes mehr gehörte dazu, ganz nach dem Motto, dass Erziehung umfassend zu sein hat. Ski- wie auch Zeltlager wurden übungshalber durchgeführt. Mit ProfesorInnen als Lagerleitende, Studierenden als aufmüpfige Jugend, bis hin zum illegalen Ausbüchsen während der Nacht.

Solch praxisnahes und unwissenschaftliches Vorgehen wäre undenkbar an den heutigen Fachhochschulen. Devecchi ist voller Bewunderung, über das viele Wissen, welches von den Sozialarbeitenden „zur Optimierung der interdisziplinären Zusammenarbeit und zur Verbesserung der in der Sozialen Arbeit erbrachten Dienstleistungen“ angehäuft wird, all die Bachelor- und Mastertitel, welche die Studierenden erwerben. Allerdings genüge Wissen alleine nicht, wenn dabei der direkte Kontakt mit den dissozialen Menschen nicht stattfinde. Devecchi richtete einen Appell an die „liebe Hochschule“, doch bitte auch das Feuer der anthropologischen Leidenschaft in den Studierenden zu wecken.

Er verwies auf die Beispiele von Pestalozzi, dem grossen Schweizer Pädagogen, der mittellos, chaotisch und am Rande der Verzweiflung agierte, aber stets mit Leidenschaft, von Janusz Korczak, auch er ein bedeutender Pädagoge, der bis ins Vernich-tungslager Treblinka zu seinen Waisenkindern hielt, von Anton Semjonowitsch Makarenko, der in der Gorki-Kolonie wegweisende Arbeit mit straffällig gewordenen Jugendlichen leistete. Es müsse nicht gleich gestorben werden, meinte Devecchi augenzwinkernd, aber mehr Leidenschaft in der Sozialpädagogik täte gut, vor allem den Klienten.

Leider schwenke das Pendel nach seiner Einschätzung aber in die andere Richtung. Mit dem Bildungsstand steige auch die Angst vor Fehlern, man schütze sich mit einem theoretischen Korsett, nur um möglichst keine praktische Arbeit mit den Klienten machen zu müssen. Die Arbeitszeit werde zur Hauptsache im Büro verbracht, persönliche Nähe fast schon als Übergriff empfunden. Zeit für die Jugendlichen habe man fast keine, dabei sei die Kernaufgabe der Sozialpädagogik die Beziehungsar-beit. Und diese wiederum setze voraus, dass man zusammen Zeit verbringt.

Devecchi forderte auf zu mehr Widerstand gegen die Regulierungswut, gegen den Glauben an die Messbarkeit von Beziehungsarbeit. Den Experten in den Amtsstuben solle man misstrauen. Gute Ausbildung der SozialpädagogInnen sei begrüssenswert, aber sie mache noch keine guten Berufspersonen aus. Dazu brauche es auch Au-thentizität sowie viel Leidenschaft!