OHRFEIGEN UND ANDERE KRITERIEN!
25.03.2015 14:25
Während Guido Fluri an der Generalaudienz in Rom den päpstlichen Segen für seine Wiedergutmachungsinitiative abholt, beginnt in der Schweiz die Debatte darüber, wer von den Opfern fürsorgerischer Zwangsmassnahmen überhaupt berechtigt ist, eine Entschädigung in Franken und Rappen zu fordern. In die Diskussion eingeschaltet hat sich nebst dem Präsidenten des Bauernverbandes, NR Ritter, dem Präsidenten der CVP, NR Darbellay, auch der Delegierte des Bundes, Lucius Mader und der Vater der Initiative imself. Für Guido Fluri ist klar, dass „der Kreis der Berechtigten begrenzt werden muss", will sein Anliegen in der bevorstehenden Ratsdebatte eine Chance haben. Denn, so Fluri, würden die Parlamentarier nichts so sehr fürchten, als die Forderung nach einer Ausschüttung nach dem Giesskannenprinzip. Die Reise nach Rom soll also nicht nur den Katholiken in Bundesbern Dampf machen, sondern auch „diejenigen Kräfte stärken, die sich für Gerechtigkeit und letztlich für eine Wiedergutmachung einsetzen“. Gemeint sind wohl die Bischöfe und die CVP! Markus Ritter wiederum, wiederholt bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass er eine „Entschädigung“ befürworte, dass es aber auch Verdingkinder gegeben habe, "die es gemessen an den damaligen Verhältnissen gut bei einer Bauernfamilie hatten“. Wurde er nicht schon einmal, nämlich am Gedenkanlass vom 11. April 2013 in Bern, deswegen kräftig ausgepfiffen? Er fordert "klare Kriterien", wer eine Entschädigung erhalten soll. Auch Christoph Darbellay ist dafür, die Opfer finanziell zu entschädigen, allerdings müsse die Verteilung der Gelder „ gut organisiert“ sein. „ein Giesskannenprinzip kommt nicht in Frage“.
Konkreter wird der Delegierte für die Opfer von Fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und stellvertretender Direktor des Bundesamtes für Justiz, Luzius Mader:
„Wer im Heim gelegentlich und ohne übermässige Härte geohrfeigt wurde, ist meines Erachtens kein Opfer. Sonst wären wohl die meisten damaligen Kinder Opfer - auch solche, die zu Hause bei den Eltern lebten“. Hat nicht Papst Franziskus kürzlich ähnliches zum Thema „Ohrfeigen" von sich gegeben? Diese zynische und entlarvende Aussage des Delegierten beweist, dass er im Grunde genommen gar nichts begriffen hat. Denn eine Ohrfeige von Vater oder Mutter verabreicht - wenn auch zu verurteilen
- beweist immerhin, dass das Kind einen Vater und eine Mutter hat. Im Gegensatz zu den Heim- und Verdingkinder, die auf Grund von zweifelhaften, moralisch geschwängerten und rechtlich nicht immer sauber abgestürzten Zwangsmassnahmen von ihren Vätern und Müttern jäh getrennt wurden.
Fremde, schmutzige Hände also, die da zuschlugen!
Ja, liebe Politikerinnen, Politiker und Chefbeamte in Bern. Wie soll das ehemalige Heimkind, das ehemalige Verdingkind denn beweisen, dass es damals, im Heim oder beim Bauer, sehr gelitten hat und vielleicht an den Spätfolgen seiner traumatischen Erfahrungen immer noch leidet? Was braucht es, um euch klar zu machen, dass es nicht nur Schläge waren, die es erniedrigte? Nicht nur harte Arbeit, die es von morgen früh bis abends spät erdulden musste? Wie soll das Opfer Euch beweisen, dass tief in seinem Inneren ein immerwährender, unauslöschlicher Schmerz lodert und dass die hässlichen Narben, die daraus entstanden, für das menschliche Auge unsichtbar bleiben?
Wie soll das Opfer euren Fragen nach harten, beweisbaren Facts standhalten, wenn die Akten, die diese Facts vielleicht hätten dokumentieren können, willentlich oder auch nicht, zerstört wurden? Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen wurde über viele Jahre und Jahrzehnte mit ihren schlimmen Erfahrungen alleine gelassen. Niemand kümmerte sich um sie, niemand nahm sie ernst. Die Politik hat das dunkle Kapitel Schweizerischer Sozialgeschichte bis vor kurzem einfach ignoriert. Und jetzt plötzlich verlangt diese Politik von den Opfern etwas, das sie nur schwerlich liefern können: Beweise!
Beweise von Schlägen, von Entbehrungen, von seelischer Folter, von erduldeter Einsamkeit und Trauer? Das ist beschämend und zeugt von kleinkrämerischem geizigem Geist. Es war die damalige Gesellschaft, die Übergriffe zugelassen hat. Die weggeschaut hat. Die toleriert hat, was niemals hätte toleriert werden dürfen.
Die Gesellschaft von heute soll dies wiedergutmachen, grosszügig, grossherzig, auch im Wissen, dass vereinzelt vielleicht eine finanzielle Wiedergutmachung missbräuchlich geschieht. Was solls, deswegen geht die Schweiz nicht unter!
Also, liebe Politikerinnen, Politiker und Chefbeamte in Bern: Die „Giesskanne" ist die einzige gerechte Möglichkeit, geschehenes Unrecht wieder gut zu machen! Springt über eure Schatten und macht euch vertraut damit!