Referat, gehalten am 2. Zürcher Präventionsforum des Europainstituts an der Uni Zürich!

30.03.2009 11:00

 

Rückfallprävention oder Drehtürenffekt? Rückfallverhinderung durch jugendstrafrechtliche Sanktionen bei schwerer Delinquenz!

Seit mehr als 35 Jahren arbeite ich mit dissozialen Jugendlichen und zwar vorwiegend im stationären Bereich. Und seit über zwanzig Jahren leite ich ein Erziehungsheim, in welchem Jugendliche plaziert sind, die von Straf- oder Zivilrechtlichen Behörden eingewiesen werden. Ich darf also in aller Bescheidenheit von mir behaupten, dass ich einen gewissen Überblick über die Entwicklung und die Methoden im Umgang mit delinquenten Jugendlichen habe. Ich bin deshalb den Organisatoren dieser Tagung sehr dankbar, dass ich als Praktiker hier sprechen darf.

Ich werde Ihnen in meinen kurzen Ausführen vielleicht ein paar unangenehme, allerdings auch sehr subjektive Beobachtungen aus meinem beruflichen Alltag erzählen. Wie heißt es doch in einem berühmten Spruch aus dem alten Testament: Tempi spargendi lapides (Es gibt Zeiten da werden Steine geworfen….und ich werfe heute einige dieser Steine in den Raum), ed tempi coligendi lapides (und es gibt Zeiten, da werden Steine eingesammelt). Vielleicht haben wir in der Podiumsdiskussion am Schluss der Tagung Gelegenheit, die von mir geworfenen Steine friedfertig wieder einzusammeln. Ich werde auch nicht der Verlockung einheimfallen und von früheren Zeiten sprechen – wo, sie wissen es ja, alles viel besser, friedlicher und gemächliger zu und her gegangen sein soll. Es sei denn - und ich zitiere Philosophen die sich vor vielen tausend Jahren schon über die Jugend genervt und echauffiert haben -:

  • Aristoteles: Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.
  • Keilschrift aus dem Jahre 2000 vor Christus: Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Das Ende der Welt ist nahe!

Jugendarbeit, sei sie ambulant oder stationär, gesetzlich oder freiwillig, ist immer auch Präventionsarbeit. Denn je besser Jugendliche auf das Leben als Erwachsene vorbereitet werden, desto weniger müssen sich Fürsorge und Gerichte später mit ihnen befassen.

Allen in der Jugendstrafrechtspflege agierenden Akteuren (Jugendrichter, Jugendanwälte, Polizei, Sozialpädagogen uvm.) kommt deshalb eine besondere Verantwortung zu. Denn sie leisten - trotz der unterschiedlichen Rollen die sie bekleiden - einen erzieherischen und präventiven Beitrag, der nicht zu unterschätzen ist.

Dieses "pädagogische Bewusstsein" tritt meiner Meinung nach immer mehr in den Hintergrund. Es macht sich im Umgang mit straffälligen Jugendlichen eine Rollen- und Verantwortungsdiffusion breit die mitverantwortlich dafür ist, dass den Jugendlichen die Orientierung zu verlieren droht und sie immer weniger zwischen "Gut" und "Böse" zu unterscheiden vermögen. 

Eine Rückbesinnung auf transparente und konsequente Handlungsstrategien in der Arbeit mit straffälligen Jugendlichen tut Not.

Der Kern meiner Ausführung befasst sich mit dieser Verantwortungs- und Rollendiffusion. Anhand von praktischen Beispielen aus meinem Alltag lege ich dar, was ich damit meine und welche negativen Einflüsse diese Rollen- und Verantwortungsdiffusion auf die straffälligen Jugendlichen haben kann.

Ich habe mir vier Stichworte zum Thema notiert, die ich in der Folge näher ausführen möchte:

 

  • Verantwortungsdiffusion
  • Delegation
  • Die Zeit, die Dauer
  • Motivation

"Verantwortungsdiffusion" oder auch "die pluralistische Ignoranz" bezeichnet das Phänomen, dass eine Aufgabe, die offensichtlich zu tun ist, trotz genügender Anzahl und Aufmerksamkeit dafür geeigneter Stellen oder Personen nicht angenommen oder ausgeführt wird". 

Ich spreche damit die Tendenz an, die ich meine beobachten zu können, dass sich um den delinquenten Jugendlichen herum immer mehr Professionelle scharen, die sich in unterschiedlichen Rollen und ausgestattet mit unterschiedlichen Mandaten berufen fühlen, sich mit ihm zu beschäftigen, und dass sich darob niemand so recht verantwortlich fühlt, Tätergerecht zu entscheiden. Wie heißt es doch im Volksmund: Viele Köche verderben den Brei…

Ein Bespiel:
Ein Jugendlicher, 17 Jährig, überfällt während eines Heimurlaubes mit einer Pistolenatrappe einen Laden, bedroht das Personal und flüchtet mit einer Beute von einigen Tausend Franken. Er wird gefasst und für zwei Tage in Untersuchungshaft genommen. Kurz darauf findet eine Sitzung statt, an welcher der Vorfall und das weitere Vorgehen besprochen werden. An der Sitzung nehmen teil: Eine Sozialarbeiterin, der Verteidiger, ein Übersetzer, ein Familienbegleiter, ein Kulturmediator, die Mutter, eine Sozialpädagogin, eine Vertreterin der Vormundsschaftsbehörde, der Arbeitsgeber, und der fehlbare Jugendliche. Der wichtigste Entscheidungsbevollmächtigte, der Jugendanwalt, fehlt.
Der Verteidiger möchte natürlich nur das Beste herausholen (aus der Sicht des Jugendlichen). Er plädiert deshalb für Milde. Die Mutter ist völlig überfordert und mit großen Schuldgefühlen beladen, weshalb sie (auf Druck des Jugendlichen) den Sohn wieder nach Hause nehmen will. Der Jugendanwalt lässt über die Sozialarbeiterin ausrichten, dass vorläufig keine weiteren Strafen oder Maßnahmen verfügt werden, da der Jugendliche bereits mit einer Schutzmassnahme versehen und im Heim platziert ist. Der Kulturvermittler klärt uns über das Heimatland des Jugendlichen auf und die dortigen Bräuche und Sitten und sucht damit nach Begründungen für den erneuten Rückfall. Und der Familienbegleiter anerbietet sich, vermehrt im Familiensystem Präsenz zu zeigen. Der Jugendliche wirft darauf hin ein, dem Familienbegleiter voll zu vertrauen, worauf dieser ebenfalls für eine Rückkehr zur Mutter das Wort redet und seine guten Dienste anbietet. Niemand haut auf den Tisch und liest dem Jugendlichen die Leviten. Niemand empört sich über die Tat. Einzig die zwei Tage Haft bleiben dem Jugendlichen ein kleinwenig nachhaltiger in Erinnerung. Meiner Meinung nach zuwenig zur Förderung der Einsicht, dass sich Gesetzesübertretungen nicht lohnen. Bald darauf, leider, muss sich die Polizei wieder mit ihm beschäftigen.
Ich spreche dem Systemischen Ansatz damit keineswegs die Glaubwürdigkeit ab. Ich anerkenne die Arbeit der Kulturvermittler, der Verteidiger, der Sozialarbeiter, der Familienbegleiter, der Jugendanwälte und all derer, die sich mit schwierigen Jugendlichen herumschlagen. Doch frage ich mich ernsthaft, ob sich der Jugendliche in diesem Meer von Menschen und Meinungen wohl zurecht finden kann, wo er doch eigentlich Orientierung und Leitplanken sucht und braucht. Wohl kaum! Im Gegenteil: Die Verlockung, sich diese Verantwortungsdiffusion und Rollendiffusion zu Nutze zu machen, indem er die verschiedenen Parteien und Rollen versucht gegeneinander auszuspielen und seinen Zwecken dienlich zu machen ist groß. Und mit der Abwesenheit des Jugendanwaltes als Repräsentant des Staates und des Rechts wird dem fehlbaren Jugendlichen ungewollt signalisiert, dass seine Tat gar nicht so schlimm war. Die Gefahr besteht, dass sich durch all diese Umstände im Kopf des Jugendlichen nichts bis wenig verändert, mit der Folge, dass die delinquente Spirale bei ihm noch weiter und schneller zu drehen droht. 

Delegation!
"Delegation bedeutet die Übertragung von Entscheidungskompetenzen von einer Instanz (Delegierender) an andere Instanzen/Stellen (Delegationsempfänger)".


Art. 7 des Bundesgesetztes über das Jugendstrafrecht hält fest, ich zitierte:
"Die zuständige Behörde stellt das Verfahren ein, wenn: Schutzmassnahmen nicht notwenig sind oder die Behörde des Zivilrechts bereits geeignete Maßnahmen angeordnet hat…" Dieser Passus hat mich schon damals, in der Vernehmlassungsphase, stutzig gemacht, weil ich mir nicht sicher war, ob der straffällige Jugendliche, bei dem Art. 7 angewendet wird, den Vorgang auch verstehen und richtig einzuordnen vermag.
Ich stelle in meiner Praxis fest, dass von Artikel 7 doch sehr oft gebrauch gemacht wird. Vielleicht ist diese Delegation mit ein Grund, weshalb in den letzten Jahren die strafrechtlichen Einweisungen in klassische Jugendheime Jahren markant zurückgegangen sind.

Ein Bespiel:
Martin drohte zu verwahrlosen. Die Grosmutter, welche an Stelle der Eltern den Knaben groß gezogen hatte, konnte ihm die notwenigen Grenzen nicht mehr geben. Drogen und Alkohol wurden zu seinen ständigen Begleitern. In dieser Situation, und weil keine Lehrstelle in Sicht war, beschloss der Vormund, Martin im Jugendheim zu platzieren. Bei der Erfassung der Lebensgeschichte und in Gesprächen mit dem Jugendlichen, der Großmutter und dem Vormund fanden wir heraus, dass Martin seit seinem 15. Lebensjahr immer wieder in deliktische Aktivitäten verwickelt war. Erst waren es kleinere Taten. Doch mit zunehmendem Alter und zunehmender Perspektivlosigkeit, wuchs auch das Deliktmass. So geschah es, dass Martin mit 17 Jahren, zusammen mit anderen Jugendlichen und unter Einfluss von Drogen und Alkohol – einem Saubannerzug gleich – durch die Stadt zog, zahlreiche Autos beschädigte und Passanten belästigte und bedrohte. Ein Glück, dass Martin bald darauf von der Polizei gefasst und der Jugendanwaltschaft zugeführt wurde. Doch weil Martin bevormundet und bereits in Obhut einer Zivilrechtlichen Behörde war, wurde das Verfahren einstweilen eingestellt. Und so kam es, dass Martin wegen seiner schwerwiegenden Taten gar nicht zur Verantwortung gezogen wurde. Nur auf starkes Drängen der Heimverantwortlichen, und weil Martin bald volljährig werden sollte – er hätte das Heim dann als juristisch erwachsene Person verlassen können – wurde das Verfahren wieder aus der Schublade geholt. Es folgten Einvernahmen und damit verbunden eine Auseinandersetzung und Konfrontation mit seinen Straftaten. Das Jugendgericht bestätigte darauf folgend die Massnahmebedürftigkeit von Martin und ordnete eine Schutzmassnahme an. Heute lebt Martin immer noch im Heim, lernt Schreiner und ist dankbar, dass ihn die Behörde nicht hat fallen lassen. So weit so gut. 

Doch Martin ist kein Einzelfall. Viele der bei uns zivilrechtlich eingewiesenen Jugendlichen haben erhebliche Straftaten begangen (Raubüberfälle, Einbruchdiebstähle, Drogenhandel usw.) die zu keinerlei juristischen Konsequenzen geführt haben. Wie soll ein Jugendlicher begreifen, dass er sich nicht vor dem Jugendrichter zu verantworten hat, wie das der Zimmernachbar aus einer anderen Gegend mit gleichem Delikthintergrund hat tun müssen? Ich denke, dass mit der Einstellung des Verfahrens nach Art. 7 des Jugendstrafrechts dem Jugendlichen eine falsche und gefährliche Botschaft vermittelt. "Ich habe zwar Seich gemacht, doch schlimm kann es offenbar doch nicht sein. Also mache ich weiter!" Auch wird mit dieser Praxis der Delegation an die Zivilrechtlichen Behörden die konfrontative und deliktorientierte Erziehungsarbeit desavouiert. Sie läuft bei diesen Jugendlichen oftmals ins leere, weil diese wichtige Arbeit von der Behörde des Strafrechts nicht unterstützt und auch nicht begleitet wird. Deshalb verlangen wir immer wieder mit Nachdruck, doch oft erfolglos, dass Jugendliche mit einem deliktischen Hintergrund (auch wenn es sich um so genannte Bagatellen handelt) von der Jugendanwaltschaft übernommen werden. So wäre auch gewahrt, dass der Jugendliche gezwungen wird, sich mit seiner Straftat auseinanderzusetzen, was bekanntlich auch therapeutische, sprich heilende Wirkung, haben kann. Befragungen, Einvernahmen, Vorladungen, Gerichtsverhandlungen uvm. sind wichtige pädagogische Instrumente, die gezielt eingesetzt, Wunder wirken können. 
Auch darf es nicht sein, dass bei jungen Straftätern und zuweilen auch bei Intensivtätern auf der Schwelle zur Mündigkeit, mit Schutzmassnahmen und anderen Maßnahmen zugewartet wird, weil sie ja bald 18 werden und somit - bei Rückfall – dann das Strafrecht für Erwachsene für sie zum Zuge kommt. Ich habe in den letzten Jahren mehrere solche Jugendliche ziehen lassen müssen (und das mitten in der Ausbildung), weil sich die Behörden nicht mehr engagieren wollten. Von einigen weiß ich, dass sie später entweder in einem Massnahmezentrum oder im Gefängnis gelandet sind.

Die Zeit bzw. die Dauer
"Das Wort Zeit bezeichnet die vom menschlichen Bewusstsein im Alltag wahrgenommene Abfolge des Geschehens. Die menschliche Wahrnehmung von Zeit ist als Fortschreiten der Gegenwart von der Vergangenheit kommend zur Zukunft hin beschreibbar".


Es kommt häufig vor, dass Jugendliche eine Straftat begehen und es danach Monate, wenn nicht Jahre dauert, bis eine juristische Würdigung eintritt.

Beispiel:
Der junge Mann wird mit 16 Jahren vorsorglich im Heim platziert. Vorgeworfen werden ihm bandenmäßige Raubüberfälle und Handel mit harten Drogen. Der Fall ist zugegebenermaßen komplex, weil viele andere Jugendliche mit involviert sind. Im Heim läuft es gut. Er beginnt eine Lehre als Polymechaniker. Nach 8 Monaten kommt es zur Einvernahme bei der Jugendanwaltschaft und nach 2 ½ Jahre endlich zum Gerichtstermin. Dazwischen wird er aber immer wieder polizeilich wegen Delikten gegen das Betäubungsmittelgesetz angehalten und verzeigt. Weil aber die Hauptverhandlung bevorsteht, passiert weiter nichts. Der junge Mann ist bereits im 3. Lehrjahr, als er endlich vor dem Jugendrichter erscheinen und Rechenschaft für seine Missetaten ablegen muss. Die Schutzmassnahme wird bestätigt, obwohl sie in 1 ½ Jahren schon wider auslaufen wird. Endlich scheint er den Ernst der Lage verstanden zu haben. Er schließt später die Lehre erfolgreich ab und bleibt – meines Wissens - bis heute deliktfrei. Alles paletti, oder? Eben nicht! Ich denke, dass mit einem schnelleren eingreifen und mit einem speditiveren Verfahrensverlauf all die Rückfälle zwischen Ersttat und Gerichtsverhandlung hätten vermieden werden können. Denn auch hier war die Botschaft an den Jugendlichen zweideutig: "Ich habe zwar mehrere Male das Gesetz gebrochen, doch so schlimm kann es nicht gewesen sein. Sonst wären die Behörden mit Sicherheit schneller eingefahren!" Und noch etwas: Für einen erwachsenen Menschen ist ein Jahr ein Jahr! Und je älter er wird, desto schneller scheint dieses Jahr zu verfließen. Für einen Jugendlichen hingegen bedeutet ein Jahr eine Galaxie. Je weiter in die Vergangenheit zurück etwas bearbeitet und reflektiert werden muss, desto schwieriger ist es, damit Erfolg zu haben. Jugendliche sind auch Meister im Verdrängen. Denn je länger ein Delikt zurück liegt, desto größer ist die Tendenz, dieses Delikt zu bagatellisieren und zu verharmlosen. 

Motivation!
"Motivation (von lat. motus, „Bewegung“) bezeichnet in den Humanwissenschaften sowie in der Ethologie einen Zustand des Organismus, der die Richtung und die Energetisierung des aktuellen Verhaltens beeinflusst. Mit der Richtung des Verhaltens ist insbesondere die Ausrichtung auf Ziele gemeint. Energetisierung bezeichnet psychische Kräfte, die das Verhalten antreiben. Ein Synonym von Motivation ist 'Verhaltensbereitschaft'“.


In der Pubertät und in der Adoleszenz ist die Bereitschaft der Jugendlichen gering, sich durch Motive anderer in ihrem Verhalten beeinflussen zu lassen, es sei denn, sie hätte diese selbst gewählt. Motivierungsarbeit mit dieser Altersgruppe ist deshalb eine sehr delikate Arbeit. Welcher Jugendliche ist schon echt motiviert, durch Weisung des Jugendanwaltes oder des Gerichtes in ein Heim einzutreten? Ist es nicht vielleicht sogar normal und altersentsprechend, wenn sich der Jugendliche gegen diese Anordnung zur Wehr setzt. Denn gerade deshalb, weil Erwachsene von Jugendlichen ein bestimmtes Verhalten erwarten und sie in eine Richtung zu beeinflussen versuchen, gerade deshalb machen sie oft das Gegenteil. Der entwicklungspsychologische Tatbestand ist an sich banal, der Umgang damit, als Eltern, Lehrer, Jugendanwälte und Sozialarbeiter, gehört dagegen zu den schwierigsten zwischenmenschlichen Aufgaben. Ich erachte es deshalb als eine der absurdesten und unehrlichsten Versuche, einen delinquenten Jugendlichen für eine Schutz- oder andere Maßnahme motivieren zu wollen. Denn vom Jugendlichen zu verlangen, dass er einer vom Gericht verhängte Maßnahme zustimmt, verführt ihn zur Unehrlichkeit: Er wird es darum nur deshalb tun, damit man ihn in Ruhe lässt!
Und trotzdem neigt man immer öfters dazu, nur noch "motivierte" Jugendliche mit einem "motivierten" Herkunftsmilieu in den "Genuss" einer Jugendstrafrechtlichen Schutzmaßnahme kommen zu lassen. Ich habe es mehrmals erlebt, dass im Trotz verharrende Jugendliche fallen gelassen wurden, und man dabei wohl oder übel in Kauf nahm, dass sie wieder straffällig werden könnten. Kürzlich ist mir ein Jugendlicher per Polizeitransport zugeführt worden, der par tout nicht ins Heim wollte. Er widersetzte sich wochenlang der Maßnahme, bis der Versorgerschaft nichts mehr anderes übrig blieb, als ihn polizeilich zuführen zu lassen. Heute, einige Monate später ist der junge Mann bestens integriert und in den Startpflöcken zu einer Ausbildung. Maßgebend war in diesem Fall nicht die Motivation des Jugendlichen, sondern die Motivation der Versorgerschaft und des Heimes. Wenn alle am gleichen Strick und in die gleiche Richtung ziehen, hat der Jugendliche fast keine andere Wahl, als mitzumachen und seinen Widerstand aufzugeben. Und ich bin überzeugt, dass er es uns später danken wird. Meine Erfahrungen im Kontakt mit ehemaligen Heiminsassen bestätigen dies. 

Und noch etwas: Des öftern höre ich in letzter Zeit aus dem Munde eines Jugendanwaltes oder einer Jugendanwältin den Satz "Der Jugendliche ist nicht Massnahmefähig!" Ist es nur meine Subjektive Sichtweise, oder gehe ich Recht in der Annahme, dass immer mehr an der Zahl (und vielfach auch im Zusammenhang mit ausländischen Jugendlichen) eine Massnahmeunfähigkeit diagnostiziert und verfügt wird? Und wenn eine Massnahmeunfähigkeit verfügt wird wird, auf Grund welcher fachlicher Kriterien? Was sind die Parameter die zu diesem schwerwiegenden Entscheid führen? Und wer entscheidet? Und was geschieht dann mit dem Jugendlichen? Wäre es nicht sinnvoll, analog der in den Kantonen installierten Fachkommissionen im Jugendstrafverfahren, Verfügungen zur Massnahmeunfähigkeit im Vorfeld der Umsetzung vorlagepflichtig zu machen? Vielleicht haben wir Gelegenheit, dieses Thema in der Podiumsdiskussion im Anschluss an die Referate nochmals aufzugreifen. 

Fazit:
Wir verfügen über griffige gesetzliche Instrumente im Umgang mit delinquenten Jugendlichen. Das neue Jugendstrafrecht ist sehr differenziert ausgestaltet, was es den Behörden erlaubt, adäquat und dem Einzelfall entsprechend zu handeln. Doch hat alles was glänzt auch Schatten. Es sind diese Schatten, die wir im Dialog miteinander ausleuchten müssen, so wie wir das heute an diesem 2. Zürcher Präventionsforum gerade tun. Denn je besser all die Akteure der Jugendstrafrechtspflege ihre Rollen auf der Bühne des Arbeitsalltages wahrnehmen und interpretieren, desto verständlicher kommen die Botschaften, auch die unangenehmen, beim Jugendlichen an. 
Delinquente Jugendliche, ob motiviert oder nicht, ob Schweizer oder Ausländer, haben ein Recht auf Erziehung und Bildung. Sie haben ein Recht auf Schutzmassnahmen, wenn diese Indiziert sind und sie haben ein Recht auf Sanktionen, wenn diese für die Wiedergutmachung und für die förderliche Entwicklung des Täters, der Täterin notwenig erscheinen. Sie wissen es alle: Das Jugendstrafrecht ist im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht ein Täterstrafrecht. Es darf nicht sein, dass nur das Maß, bzw. die Deliktsumme darüber bestimmt, wer in den Genuss einer Schutz- oder anderen Maßnahme kommt und wer nicht. Auch das kleine Delikt, die Bagatelle, kann für den Täter oder die Täterin böse Folgen haben, wenn wir es als Appell ignorieren.

Was ich nicht möchte ist, mich in den Chor all jener einreihen, die für mehr Härte im Umgang mit delinquenten Jugendlichen plädieren. Denn "Härte" gehört nicht in den Wortschatz eines Pädagogen. Was ich mir aber wünsche, ist mehr "Konsequenz!"